Version vom 01.09.2007
Erstversion vom 09.05.2006

Kündigungsschutz und Unterhaltszahlungen – für wen sind sie gut?

Ein Kündigungsschutz ist gut für die Arbeitnehmer; Mieterschutz ist gut für die Mieter; Unterhaltspflicht ist gut für Frauen; ein Paketmonopol ist gut für die Post. Ist doch klar, oder? Oder?  

Bleiben wir mal beim Kündigungsschutz (der kann sich auf Arbeitsverhältnisse oder auch auf Mietverhältnisse beziehen): Wen ganz genau schützt dieser Schutz? Natürlich den Mieter, werden Sie wohl sagen. Wenn Sie das exakt so sagen, dann gebe ich Ihnen sogar recht; sagen Sie hingegen, das sei gut für die Mieter, dann bestreite ich es. Was ist der Unterschied? Nun, der Mieter ist derjenige, der gerade in der Wohnung wohnt. Für den ist es natürlich zunächst einmal „gut“, geschützt zu sein (nun ja, auch dieses „natürlich“ werde ich weiter unten noch etwas hinterfragen, aber lassen wir es hier erst einmal dabei).

Wer sind die Mieter? Das sind die Personen, die generell Wohnungen mieten, also auch die, die derzeit keine Wohnung gemietet haben oder umziehen wollen. Und auf einmal sehen wir, dass hier eine kleine Asymmetrie zwischen diesen beiden Untergruppen besteht. Das Recht, das der Mieter in derWohnung hat, geht zulasten derjenigen Mieterin vor der Wohnung, die gern in die Wohnung einziehen würde. Die Wohnungssituation hat sich inzwischen fast überall entspannt, aber erinnern Sie sich noch an die Zeiten der strengen Knappheit? Da mussten Sie als neuer Mieter oftmals einen „Abstand“ für einen abgenutzten Teppichboden und ein paar heruntergekommene Gardienen bezahlen – an den alten Mieter. Das war natürlich nur eine verdeckte Transaktion des alten Mieters, um Ihnen wenigstens einen Teil des Wertes seines Sonderrechts abzunehmen. Denn der alte Mieter wusste selbstverständlich, dass er das Sonderrecht verliert, indem er auszieht. Und weil er nicht den vollen Wert dieses Rechtes verlangen konnte, blieb er sicherlich länger in der Wohnung als er es ohne Existenz dieses Rechtes getan hätte – was wiederum ein Nachteil für die draußen wartende, potenzielle Mieterin ist.

Das gleiche gilt für Arbeitsverträge und zu einem gewissen Grad auch für Tarif- oder gar Mindestlöhne: All diese schönen Dinge kommen denjenigen zugute, die schon im Job sind. Denen, die keinen haben, schaden sie. Ein Kündigungsschutz für Arbeitnehmer etwa schützt zunächst einmal einen Angestellten, und das ist ja nicht das Schlechteste. Er schützt aber eben nur denjenigen, der bereits angestellt ist. Gleichzeitig löst er eine Verhaltensänderung der Arbeitgeber aus: Weil sie wissen, dass sie sich von Mitarbeitern schwer wieder trennen können, stellen sie weniger ein. Das schadet den Arbeitnehmern, die keinen Job haben.

Die Jugendlichen in Frankreich haben Anfang 2006 wochenlang einen halben Bürgerkrieg veranstaltet, weil der Kündigungsschutz für die Anfangszeit des Erwerbslebens der Jugendlichen aufgehoben werden sollte. Diese Proteste entsprangen der Wut darüber, dass sich von der alten Generation ausgebeutet fühlten und die Aufhebung des Kündigungsschutzes als eine weitere Benachteiligung empfanden. Erstaunlichweise sahen sie nicht, dass der Schutz nur einige von ihnen schützt und vielen schadet: Denn viele sind ja arbeitslos. Für diese wäre es ein Vorteil gegenüber den nicht jugendlichen Arbeitnehmern gewesen und hätte sicherlich zu einer Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit geführt. Weshalb sahen sie das nicht?

Wieso sehen wir nicht die negative Seite der Wohltaten? 

Woran liegt es, dass uns unser Alltagsverstand sagt, ein Recht müsse immer etwas Vorteilhaftes sein (für ein Wahlrecht habe ich einen eigenen Beitrag darüber), dass es hier aber gerade denjenigen schadet, denen es eigentlich nützen soll?

Daran, dass unser Alltagsdenken von einem Status Quo ausgeht und dann nur einen Denkschritt macht. Dieser sagt uns: Wenn die Mieter geschützt sind, dann ist das gut für sie. Wir denken nicht: „Und wie reagieren die Vermieter auf diesen Schutz?“ Täten wir es, dann sähen wir, dass es zwei Effekte gibt: einen primären, den wir mit dem Schutz beabsichtigen, und einen sekundären, den wir nicht beabsichtigen, der aber zwangsläufig entsteht, weil durch ein Sonderrecht auch andere Beteiligte ihr Verhalten ändern.

Erst die Spieltheorie bringt uns bei, wie wir auch indirekte Effekte mit einbeziehen; denn diese entstehen meist durch die Reaktion (oder durch vorauseilende Verhaltensänderungen) Anderer.

Und was hat das mit einem Monopol zu tun?  

„Also gut,“ sagen Sie, „Mieter sind eben keine homogene Gruppe, und daher geht der Schuss für die verhinderten Mieter nach hinten los. Aber wenn die Post ein Monopol (also ein Sonderrecht) für die Paketzustellung hat, dann kann das doch für die Post beim besten Willen kein Nachteil sein!“ Voller Gram fällt Ihnen auch die Würstchenbude am Flughafen oder auf einer Messe ein, die Ihnen für einen Hotdog spielend den Preis für ein echtes Mittagessen abknöpft, und zwar nicht etwa wegen der grandiosen Qualität der Würstchen, die da ins Brötchen gequetscht sind, sondern einzig und allein, weil sie ein exklusives Recht haben, an dieser einen Stelle ihre heißen Hunde anzubieten. In einem Punkt haben Sie mit dieser Analyse durchaus recht: Nämlich dass Sie der Leidtragende sind, der überhöhte Preise zahlt.

Aber von hier ab greift unsere Alltagsanalyse schon zu kurz. Denn wir fragen uns nicht, an wen eigentlich der „Übergewinn“ geht, der hier abgeschöpft wird, wie die Ökonomen dazu sagen. Wenn Sie ab heute in die Zukunft blicken, dann geht er zwar in der Tat an den Würstchenbudenbesitzer, aber der hat eine drängende Frage: Wieviel musste er eigentlich für dieses Recht bezahlen? Und an wen?

Im Falle des Würstchenbudenbesitzers ist der Fall ziemlich klar: Nicht er selbst, sondern die Messebetreiberin hat das Recht überhaupt erst geschaffen, indem sie ein Exklusivrecht vergibt. Wieso tut sie das eigentlich? Ganz einfach: Indem sie ein Exklusivrecht schafft, kann sie dieses Recht zu höheren Preisen verkaufen als wenn sie nicht-exklusive Rechte an mehrere Würstchenbudenbetreiber vergeben würde; einfach deshalb, weil die konkurrierenden Betreiber den Konsumenten keine Überrendite abknöpfen könnten. Folglich schafft sie erst ein Recht, das einem Dritten zugute kommt (nämlich dem Würstchenbudenbetreiber) und einem Vierten schadet (nämlich den Kunden), nur um es zu einem hohen Preis an den Dritten verkaufen zu können. Gute Strategie, oder? Damit sind die geschädigten Kunden sauer auf den Würstchenverkäufer und der Gewinn landet in der Tasche der Messebetreiberin. Und schon passiert es, dass die Zustellung eines Paketes auf ein Messegelände genauso viel kostet wie der Versand von Afrika bis zum Messetor (angeblich so geschehen bei der Expo 2000 in Hannover).

Mit anderen Worten: Bevor wir uns für den Inhaber eines Rechtes freuen, sollten wir klären, um welchen Preis er es bekommen hat. Manchmal ist dieser Preis ein echter, offengelegter Preis, manchmal ist er versteckt. Die Post zum Beispiel hatte, als sie noch Monopolist war, nichts vorab für dieses Recht zu bezahlen, der Paketzusteller auf einer Messe hingegen schon. Die Post hatte allerdings bestimmte Verpflichtungen bei der Briefzustellung, die man auch als Preis für das Sonderrecht ansehen kann (so zumindest haben seinerzeit die Befürworter dieser Monopolstellung argumentiert).

Damit sind wir bei einer ähnlichen Erkenntnis wie schon oben, nur aus einer anderen Richtung: Das Sonderrecht nützt demjenigen, der es hat, aber solange er es noch nicht hat, schadet es ihm. Die verhinderte Mieterin vor der Wohnung, die nicht einziehen konnte, zahlt auch einen Preis dafür, dass der derzeitige Mieter ein Sonderrecht hat. Aber eines Tages wird sie ja vielleicht auch eine Mieterin mit diesem Sonderrecht. So gesehen zahlt sie also dafür, später dieses Sonderrecht des Kündigungsschutzes zu bekommen. Das ist übrigens nicht unähnlich der Situation der streikenden Ärzte, die gewohnt waren, in der Frühphase ihrer Laufbahn einen hohen Preis dafür zu zahlen, dass sie am Ende ihrer Karriere einmal das Sonderrecht des Chefarztes bekommen können. Man muss sich noch eine Besonderheit klar machen: Während der Würstchenbudenbesitzer als einziger derjenige ist, der den Preis für das Recht zahlt und nicht etwa diejenigen Würstchenbudenbetreiber, die auf der Messe gar nichts anbieten dürfen, müssen alle Mieter „zahlen“, die noch keine Wohnung haben, und alle Ärzte, die noch nicht Chefarzt sind. Man sieht daran: Der Mechanismus, nach dem das Sonderrecht verteilt wird, ist nicht ganz unbedeutend.

Und wenn man das Sonderrecht schon hat?  

Ist es denn wenigstens toll, wenn man irgendwann endlich Chefarzt oder Mieter geworden ist und Inhaber des betreffenden Sonderrechts ist? Wenn also der Preis für das Recht entweder von wem anders bezahlt wird oder wenn man es schon bezahlt hat?

Nehmen wir einmal den Mieter in seiner Wohnung mit Kündigungsschutz. Solange er in der Wohnung bleibt, hat er das Recht; zieht er aus, verliert er es. Wir haben schon oben gesehen, dass er zwar versuchen wird, es wenigstens teilweise an den Nachmieter zu verkaufen, aber das funktioniert nicht sehr gut, weil der Rechtsrahmen dafür nicht existiert – schließlich sollte ja hier kein handelbares Recht entstehen, sondern eine soziale Absicherung in einem zentralen Bereich des Lebens. Folglich verliert eine Mieterin, die den Mietvertrag kündigt, einen großen Teil des Werts ihres Kündigungsschutzes. Die Reaktion darauf ist klar: Sie wird später kündigen als sie es sonst getan hätte. Erst dann, wenn der Job an einem Ort sehr viel besser bezahlt ist, wird sie dort hinziehen; erst wenn ihr neuer Freund ganz toll ist, wird sie mit ihm zusammenziehen. Zuvor fährt sie lieber mehr Auto oder verzichtet auf die Vorzüge des Zusammenlebens. Mit anderen Worten: Sie zahlt einen Preis. Einen Preis dafür, dass sie das Recht nicht verliert.

Wir sehen: Es ist nicht nur wichtig, wie man das Recht bekommt, sondern auch, wie man es behält.

Und was ist nun in den Fällen, in denen man das Recht gar nicht verlieren kann, also auch keinen Preis zahlen muss, um es zu behalten? Nehmen wir einmal ein Staatsmonopol: Ob es sein Recht verliert oder behält hängt im Wesentlichen von zufälligen politischen Entscheidungen ab, auf die es nur einen geringen Einfluss hat. Es muss also keinen Preis dafür zahlen, dass es das Recht behält. Was ist das Resultat? Vermutlich wird es einfach einen schlechteren Service liefern als es hätte tun können. Das ist übrigens der Unterschied zu einem nicht-rechtlichen Monopol, das sich immer wieder gegen die Bedrohung durch potenzielle Konkurrenz wehren muss. Ein Staatsmonopol muss das aber nicht, und folglich zahlen die Kunden den Preis für das Sonderrecht. Das Monopolrecht wird damit faktisch zu einem Recht, fett und faul zu werden.

Man möge mir verzeihen, dass ich im direkten Anschluss an diese Formulierung bei den Unterhaltszahlungen an geschiedene Ehefrauen ankomme – aber auch dies ist ein Recht, das man nicht verlieren kann. Denn egal, welcher der beiden Ehepartner den Vertrag kündigt, der Unterhaltsanspruch ist davon unabhängig. Somit gibt es keinen Preis, den die Ehefrau zu zahlen hat, um ihr Recht zu behalten. (Falls Sie hier einwenden, das gleiche Recht habe ja auch der Ehemann, wenn er wirtschaftlich abhängig ist, dann stimmt das natürlich. Allerdings werden Sie mit mir darin übereinstimmen, dass das nicht gerade der Normalfall real existierender Ehen ist.)

Welches ist also die Reaktion der Frau auf diese Situation? Natürlich die gleiche wie die des Staatsmonopols. Wissend, dass sie „abgesichert“ ist, hat sie keinerlei Veranlassung, in die eigene Erwerbsfähigkeit zu investieren und unabhängig zu bleiben. Folglich bleibt sie nach der Geburt der Kinder länger zu Hause als sie es andernfalls täte und bildet sich in dieser Zeit weniger fort als sie es andernfalls täte. Somit ist sie nach einigen Jahren gar nicht mehr in der Lage, sich selbst zu ernähren. Natürlich mag es vordergründig ganz angenehm sein, auch über die Ehe hinaus eine Art Stipendium von seinem Exmann zu bekommen (ebenso wie die Arbeit bei einem Staatsmonopol zu einem gewissen Grad angenehm sein mag), aber noch schöner wäre es vielleicht, in einem eigenen Beruf zu arbeiten und ein unabhängiges Leben führen zu können. Vielleicht sogar mit Erfolg im Beruf, der dann zu einem höheren eigenen Lebensstandard führt. Auch hier gilt die Grundprämisse der Spieltheorie: Neben den direkten Effekten gibt es indirekte. Und falls Sie das Gefühl haben, man könne sich doch auch freiwillig und trotz der Absicherung weiterbilden und zu arbeiten beginnen, dann sollten Sie am besten gleich einmal meinen Artikel durchlesen, in dem ich hinterfrage wieso Raucher so oft behaupten, aufhören zu wollen, es aber nicht tun. Als „abgesicherte“ Ehefrau ist man in einer ganz ähnlichen Situation.

Sind Kündigungsschutz und Unterhaltszahlungen denn immer schlecht? 

Keineswegs. Das habe ich auch an keiner Stelle behauptet. Ich habe noch nicht einmal behauptet, dass die Sonderrechte, wie Kündigungsschutz, Mieterschutz, Unterhaltszahlungen oder Monopolrechte, überhaupt „schlecht“ sind. Sondern ich habe darauf hingewiesen, dass diese Rechte nicht einfach gratis sind, sondern dass sie an anderer Stelle Nachteile entstehen lassen, die man in die Überlegungen einbeziehen muss.

Viele Ökonomen ziehen aus der Tatsache der Existenz dieser Nachteile den Schluss, alle Rechte dieser Art sollten am besten gar nicht existieren. Das halte ich für falsch. Man muss sich klar machen, dass der Verlust der eigenen Wohnung, des Arbeitsplatzes oder des Ehepartners einen extremen Einschnitt in das Leben eines Menschen bedeuten. Dieser Einschnitt ist keineswegs nur materiell, sondern er kann zu völliger Orientierungslosigkeit, zu Depressionen, zu Alkoholsucht und damit zu Folgen kommen, die nicht umkehrbar sind. Es wäre eine völlige Fehleinschätzung, dies einfach zu ignorieren und zu fordern, man müsse den Kündigungsschutz für Mieter abschaffen, da er zu einem ineffizienten Wohnungsmarkt führe – denn diese Ineffizienz (die zweifellos eine Folge ist) bezieht sich nur auf den rein ökonomischen Aspekt dieses einen Marktes. Dass ein Familienvater überhaupt nicht mehr einer normalen Beschäftigung nachgehen könnte, wenn er mit seiner Familie wirklich von heute auf morgen aus einer Wohnung herausgeworfen werden könnte, das taucht in dieser Überlegung aber schon gar nicht mehr auf. Und daher ist sie in ihrer Unvollständigkeit für eine Politikempfehlung nicht geeignet.

Aber ich behaupte auch nicht, dass Kündigungsschutz und Unterhaltszahlungen automatisch „gut“ sind. Sondern ich sage, dass man alle Konsequenzen einer solchen Regelung einbeziehen muss, wenn man sie gesellschaftlich bewertet. Und ein Großteil der Konsequenzen erfolgt durch indirekte Reaktionen, teilweise von Stellen, an die man zunächst überhaupt nicht denkt.

Wenn französische Jugendliche aus Wut vor der „Ausbeutung durch die vorangegangene Generation“ protestieren, dann sollten sie wenigstens wissen, wem sie damit helfen und wem sie schaden. Und falls sie den arbeitslosen Jugendlichen nicht schaden wollen, dann sollten sie es auch nicht tun. Wenn Feministinnen die Absicherung von Ehefrauen fordern, dann sollten sie zumindest erkennen, dass eben diese Absicherung dazu führt, dass viele Frauen ihre Erwerbsfähigkeit verlieren und wenig Grund oder Möglichkeiten haben, in das Berufsleben einzutreten. Und wenn sie diesen Ehefrauen nicht schaden wollen, dann sollten sie es auch nicht tun.

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